Außergewöhnliche Zeugnisse der späten
Jungsteinzeit vom Motzenstein bei Wattendorf

2. Oberfranken im dritten Jahrtausend v. Chr.

                        
[Timo Seregély]

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"Um eine ungefähre Vorstellung vom Kontext der schnurkeramischen Hinterlassenschaften vom Motzenstein bei Wattendorf zu bekommen, sollen zunächst ein Überblick zum bisherigen Forschungsstand des 3. Jahrtausends v. Chr. in Oberfranken sowie einige allgemeine Fakten zu den in diesem Zeitraum lebenden Kulturgruppen vermittelt werden.

In der ausgehenden Jungsteinzeit lassen sich in Oberfranken drei archäologische Gruppen fassen, die sich in mehreren Merkmalen grundlegend voneinander unterscheiden.

Sehr wenige Fundorte zeugen von einer archäologischen Gruppe, die noch viele Traditionen aus dem vorangegangenen Spätneolithikum aufweist. Dies sind insbesondere Gefäßformen und -verzierungen, aber auch die im späten 4./frühen 3. Jahrtausend v. Chr. typischen kleinen Rechteckbeile. Insgesamt sind die Funde denen der sogenannten Bernburger Kultur im Thüringer Becken recht ähnlich und als Zeugnis starker Einflüsse aus dieser Region zu werten. Das umfangreichste Inventar dieser Gruppe in Oberfranken stammt aus Voitmannsdorf auf der zentralen Nördlichen Frankenalb. Eine Forschungsgrabung1 im Jahr 2001 auf dem kleinen Dolomitplateau am Rande der Aufseß erbrachte eine Kulturschicht mit zahlreichen Funden, die über einen datierten 2 Rinderknochen in die Zeit zwischen 2630 und 2300 v. Chr. zu stellen sind (Lohrke/Seregely, Fundorte). Dabei dürfte eher das älteste Datum zutreffen, da in anderen Regionen die spätneolithischen Traditionen im 28. und 27. Jh. v.Chr. abbrechen.

Grund für den Wechsel war das Auftreten einer neuen Kultur mit Schnurkeramik, die sich überregional zu diesem Zeitraum verbreitete. Wo sie entstand und wie die Ausbreitung erfolgte, ist noch nicht befriedigend geklärt. Nach alten Theorien erfolgte eine Einwanderung aus den östlichen Steppenregionen, neuere Modelle favorisieren eher eine Entstehung in Mitteldeutschland oder Polen unter starken östlichen Einflüssen. Die relativ schnelle Verbreitung der schnurkeramischen Kultur geschah nach jüngsten Forschungen weniger durch Einwanderung von Menschen, sondern eher durch die Annahme neuer, wohl innovativer Elemente, die einen sozialen und gesellschaftlichen Umbruch bewirkten. Offenbar waren, z.B. im Zusammenhang mit Metallhandel, neue Ordnungen innerhalb der Gesellschaft nötig, die zu einem überregionalen Zeichensystem führten. Das bedeutet jedoch nicht, dass kleinere Bevölkerungsbewegungen, besonders in der Frühphase der Schnurkeramik, völlig auszuschließen sind.

In Oberfranken konnten bislang zwei der typischen Hockerbestattungen in Azendorf-Neudorf und Kümmersreuth (Abb. 4) ausgegraben werden. Sie waren Ost-West-orientiert und ursprünglich wohl von einem Grabhügel bedeckt. Als Beigaben fanden sich eine Amphore, zwei Streitäxte, Silexklingen und eine Knochennadel. Zahlreiche Einzelfunde von Streitäxten deuten auf weitere, mittlerweile zerstörte Gräber hin.

Die Siedlungen der Schnurkeramik sind bislang gegenüber den Gräbern überall deutlich in der Minderzahl. Der Grund könnte in einer bevorzugten Siedlungslage zu sehen sein, die durch Grabungen selten erschlossen werden kann. Dies würde z.B. für heute bewaldete Hochflächen zutreffen, die in der Regel auch kaum prospektiert werden können. Dies ist auch der Fall beim Motzenstein bei Wattendorf, der die ersten klaren Siedlungsbelege für die Schnurkeramik in Oberfranken erbrachte und durch seine überaus interessanten Funde und Befunde Thema dieser Ausstellung wurde.

Ab etwa der Mitte des 3. vorchristlichen Jahrtausend kommen mit der Glockenbecherkultur neue Elemente nach Oberfranken. Diese bestattet im Gegensatz zur Schnurkeramik ihre Toten mit Nord-Süd-Orientierung in Flachgräbern. Auch die Grabbeigaben unterscheiden sich von der weiterhin fortlebenden Schnurkeramik: Hier sind es vor allem glockenförmige Becher, Armschutzplatten, Pfeilspitzen und Dolche (aus Silex oder Kupfer), die unter anderem eine andere Bewaffnungsart anzeigen. Zur Siedlungsweise gibt es aus anderen Regionen, z.B. Südbayern, zwar mehr Belege3 als für die Schnurkeramik. Die Forschungssituation ist dennoch als recht dürftig zu betrachten. In Kersbach bei Forchheim konnten Anfang des 20. Jh. fünf sehr gut erhaltene, reichhaltig verzierte Glockenbecher geborgen werden, die wohl Beigaben von nicht erkannten Bestattungen waren.

Erst vor wenigen Jahren wurde bei Pettstadt ein kupferner Griffzungendolch auf der Abraumhalde einer Kiesgrube entdeckt, der ebenfalls aus einem beim Kiesabbau zerstörten Grab stammen dürfte. Funde, die für Glockenbechersiedlungen sprechen, sind u. a. aus Kersbach bei Forchheim, Unterhaid, Ldkr. Bamberg und Friesen, Stadt Kronach bekannt.

Die Verbreitung der unterschiedlichen Kulturgruppen zeigt zum einen bevorzugte Landschaftszonen, zum anderen ein bewusstes Abgrenzverhalten zueinander. Während die frühe Schnurkeramik überwiegend im Itz-Baunach-Hügelland, im Obermainischen Hügelland entlang der 'Fränkischen Linie' und auch an den beiden größten Flüssen Main und Regnitz verbreitet war, sind typologisch jüngere Funde dieser Kultur nahezu nur noch auf der Fränkischen Alb nachweisbar. Diese war schon im Verlauf des 27. vorchristlichen Jahrhunderts durch die Kultur mit Schnurkeramik besiedelt, allerdings wurde der zentrale Bereich der Nördlichen Frankenalb ausgelassen. Gerade in diesem Gebiet wurden aber offenbar noch bis ans Ende des 27. Jahrhunderts v. Chr. ältere Traditionen gepflegt, welche im Spätneolithikum wurzelten.

Ein weiteres Abgrenzverhalten wird nach dem Auftreten der Glockenbecherkultur sichtbar. Diese nutzt insbesondere die Flussterrassen von Regnitz und Main, meidet hingegen den Randgürtel der Frankenalb oder andere, durch die Schnurkeramik besiedelte Zonen vollkommen.

Erst in einer späten Phase scheinen Bevölkerungswachstum oder Veränderungen in Umwelt oder Wirtschaft zu massiven Rodungsmaßnahmen im Main- und Regnitzgebiet und zum Aufsuchen neuer Siedlungsregionen (z. B. entlang der Wiesent) geführt haben.

Der Übergang zur Frühbronzezeit ist wie in vielen anderen Regionen schwer zu fassen. Neben wenigen Bronzefunden (Ruderkopfnadel, Bronzedolche und -beile) gibt es lediglich zwei Keramikinventare von Baunach und Seulbitz-Pensenberg, die dieser Periode des erneuten Umbruchs angehören. Die Frühbronzezeit löst die beiden am weitesten verbreiteten Kulturphänomene der Steinzeit zwischen 2200 und 2000 v. Chr. ab (Seregely, Oberfranken)".
[T. Seregely in AXT & RAD, 10 ff]

Quelle 
T. Seregély u. a., Axt & Rad en miniature, Aussergewöhnliche Zeugnisse der Jungsteinzeit vom Motzenstein bei Wattendorf (Begleitheft zur Sonderausstellung im Fränkische Schweiz-Museum Tüchersfeld vom 18.03. bis 29.05.2005), Tüchersfeld 2005.
Literatur:
B. LOHRKE/T. SEREGELY, Zwei endneolithische Fundorte in Oberfranken. In: Das Archäologische Jahr in Bayern 2001 (Stuttgart 2002) 31-33.
T. SEREGELY, Oberfranken während des Endneolithikums (ca. 3000-2000 v. Chr.). In: „Ötzi - sein Leben, seine Zeit". Oberfranken am Ende der Jungsteinzeit. Begleitheft zur Sonderausstellung im Fränkische Schweiz-Museum Tüchersfeld (Tüchersfeld 2002) 23-40.


1 Die Grabung erfolgte durch die Professur für Ur- und frühgeschichtliche Archäologie der Otto-Friedrich-Universität Bamberg unter Leitung von Frau Dr. B. Lohrke.

2 Die Datierung geschah mittels der C14-Methode und bestimmt das Alter des Knochens mit einer Genauigkeit von 95,4 %.

3 Meist in Form von unregelmäßigen Gruben- oder Pfostenkomplexen.

 

  Abb. 3: Periodisierung des Neolithikums nach 
            J. Lüning
[Spuren der Jahrtausende (= Lit. 36) 
            S. 117, Abb. 202 / AXT und RAD S. 10, Abb.3]]

 

 

 

 

 

        

Abb. 4: Schnurkeramisches Grab 
        von Kümmersreuth, Lkr. Lichtenfels

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 5: Verbreitungskarte der endneolithischen Fundstellen
           
in Oberfranken. 
Sechseck: Bernburger Kultur; Quadrate: Schnurkeramik;
Dreiecke: Glockenbecherkultur. Wattendorf und Stübig sind im grünen Rechteck zusammengefasst.

 

=> Die Grabungen am Motzenstein bei Wattendorf, BA 
     
[Vorbericht der Uni Bamberg: Internetseite] 

 

 

Die Sonderausstellung "AXT & RAD en miniature" ist im Fränkische Schweiz-Museum Tüchersfeld noch bis zum 29. Mai 2005 zu sehen!

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

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