Archäologisches Lexikon


"Mode aus Modeln" - Kruseler und andere Hauben

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  1       2a     Moderne Ausformung einer Frauenfigürchens des 16. Jahrhundertsaus einer Model von Nürnberg, Zeltnerstr. 31   2b

Neuere Funde von Tonpüppchen       Steinfeld/Stadelhofen    Nürnberg (Zeltnerstr. 31):
Steinfeld, Hollfeld, Gelbsreuth (v. li.)      Höhe (Kopie): 5,7 cm      Ausformung aus einer Model
                                                             16. Jahrhundert                [(4), S. 223, Abb. 8], 16. Jh.

Gelbsreuth, Markt Wonsees (Abb. 3 und 4)
Etwa um 1978 fiel einem Schüler in einer Baugrube neben dem Misthaufen in Gelbsreuth das Kopfteil eines Kruseler Püppchens auf. Das Fragment ist noch 5,5 cm hoch und auf seiner Vorderseite, wohl durch die Lagerung neben dem Misthaufen dunkelgrau patiniert. Die Tonfigur ist ebenfalls der Form 3 eines Kruseler Püppchens mit einer stark ausgeprägten  Rise zuzuordnen. Unterhalb davon ist noch eine halbe Zierscheibe zu sehen. Augen und Mund des Gesichtes sind nur schwach angedeutet.
=> Zur Vitrine 23 im Rundgang

Stadt Hollfeld (Abb. 5)
Bei Bauarbeiten in der Türkei 1 (jetzt: Badstraße) fand Herr G. Hofmann um das Jahr 1979/80 bei Bauarbeiten in seiner ehemaligen Scheune in etwa 25 cm Tiefe das Unterteil eines tönernen Püppchens aus hellem Pfeifenton. Bei der noch 8,0 cm hohen Figur, bei welcher der Kopf fehlt, handelt es sich um die Form 3 eines Kruseler Püppchens mit fünf Zierscheiben, von denen eine durch die zusammengelegten Hände verdeckt ist.

Ruine der Nordeck bei Stadtsteinach (Abb. 9)
Im Bereich der mittelalterlichen Burg Nordeck wurde von Herrn A. Nagel auch ein Kruseler Tonfigur der Form 3 gefunden (Abb. 9), welche im Heimatmuseum Stadtsteinach verwahrt wird. Höhe: ca. 8,7 cm [(7) S. 9].

Steinfeld, Gde. Stadelhofen, Lkr. Bamberg (Abb. 2a)
Das nur 5,7 cm hohe zweiseitig gemodelte Tonfigürchen (Abb. 2a: Foto nach einer Kopie) wurde vor etwa 20 Jahren in einem Garten neben dem Quelltopf der in Steinfeld entspringenden Wiesent gefunden. Es zeigt eine Frau in einem langem Faltenkleid (siehe auch 8, S. 196, Abb. 15 bis 19), an dem besonders auf der Rückseite die sehr gleichmäßig gearbeiteten Längsfalten gut zu erkennen sind. Am Ausschnitt ist (wie auch auf der Abb. 2b) ein gefältetes Tuch zu sehen. Als Zeichen einer verheirateten Frau trägt sie eine Haube, welche die Haare vollständig bedeckt. Zeitstellung: Beginn des 16. Jahrhunderts.

Ein Modehit des ausgehenden Mittelalters: Der Kruseler
Diese Haubenform hatte sich aus einer früheren Form mit einem zart gekrausten Rand entwickelt. Die Anzahl der angekrausten Ränder wurde häufig in Kleiderordungen festgelegt. Bei seiner Nennung in der Speyrer Kleiderordnung von 1356 wird der Kruseler als Schleier bezeichnet, "... sleyger, genannt Kruseler ..." (3). Datierung: Mitte 14. bis 1. Drittel 15. Jhdt.

Nach E. Grönke (in 3) lassen sich drei Hauptformen voneinander unterscheiden:

     11

          Form 1                     Form 2              Form 3: 'Risenkruseler'
                                        [Zeichnung: Nalan Ötzalp in (3), S. 35, Abb. 23]

Bei der Form 1 handelt es sich um die einfachste Variante des Kruselers, bei welcher die Längsseiten der übereinander liegenden Schleiertücher gekräuselt sind. Er kann unterschiedlich lang sein und sogar die Schultern bedecken. Bei der Variante 2 sind die Längs- und die Schmalseiten gekräuselt. In Höhe des Halses sind die Kräuselungen jedoch unterbrochen und ermöglichen somit ein Umbiegen und Aufliegen des Kruselers auf den Schultern (Abb. 8).

Der Risenkruseler (Form 3) besteht aus zwei Teilen: der Form 1, bei der die Rüschen das Gesicht umrahmen und der Rise, deren unterer Saum nun ebenfalls gekräuselt ist und die oben bandartig zum Kinn hin abschließt (das Gebende). Kinn und Dekolleté sind nun vollständig von der Rise bedeckt [Nach (3) S. 34-36]. Die Tonfiguren von Gelbsreuth, Hollfeld und Stadtsteinach (Nordeck) sind demnach alle der Form 3 zuzuordnen, also als Risenkruseler anzusprechen. Häufig findet sich noch eine Reihe senkrecht angeordneter Zierscheiben.

Aus Pfeifenton gemodelt
Bei dem Hollfelder Fragment kann die Herstellung der Tonfiguren durch den 'Bilderbäcker' gut nachvollzogen werden. Nachdem man die feine Tonmasse in die einseitige Form aus Ton oder Holz gepresst hatte, wurde der Puppenkörper von unten her mit einem konischen Holz- oder Metallstäbchen (beim Gelbsreuther Stück beim Kopf noch 5 mm stark) ausgeweitet und mit dem Finger zu einem Standfuß geformt (Abb. 7 sowie 13, Nr. 9: Hollfeld - Längsschnitt!). Auch sind am unteren Rand der Hollfelder Figur entsprechende Fingerabdrücke zu erkennen. Im Laufe des Gebrauches nützte sich die Model langsam ab, wodurch immer mehr Feinheiten verloren gingen, so etwa bei den unteren Zierscheiben in Abb. 5.

Während die Rückenpartie zumeist flach blieb, wie etwa bei der Hollfelder Figur, hat man bei vielen der Form 3 (wie etwa von Gelbsreuth) auf der Rückseite noch einen Tonwulst aufgelegt und flachgedrückt (Abb. 4). Durch Einstempelungen mit einem kammartigen Gerät versuchte man, den gekräuselten Saum des Riselers von der Vorderseite nach hinten weiterzuführen. Der Kopf wurde bei allen Figuren leicht nach vorne gedrückt.   => Verbreitung von Typ 3 [3, 142]

Quellen 
                                                                
(
1) Babette Ludowici: Ein Tonmodel des 14. Jhds. aus Calw-Stammheim. In: Denkmalpflege in Baden-Württ. 21, 2/1992, 61- 63.
(2) Susanne Herramhof u. a.: Archäologische Funde und Ausgrabungen in Mittelfranken. Fundchronik 1970-1985, 1986/1987.
(3) Eveline Grönke, Edgar Weinlich: Mode aus Modeln. Kruseler Püppchen und andere Tonfiguren des 14. - 16. Jahrhunderts aus dem Germanischen Nationalmuseum u. a. Sammlungen (Wissensch. Beibände zum Anzeiger des GN, Band 14), Nürnberg 1998, 30 €.
(4) Eveline Grönke, Edgar Weinlich: Nürnberg ein Produktionszentrum spätmittelalterlicher Tonfiguren? In: Nürnberg Archäologie und Kulturgeschichte; Verlag Dr. Faustus 1999.
(5) Archäologie in Deutschland (AiD), Heft 1 2004, S. 30 f, Theiss Verlag
(6) Ausgrabungen und Funde (Lit. 3) 10, 1995-96, S. 66 und 100
(7) Ruprecht Konrad: Eine Göttin aus Gelbsreuth? Hollfelder Blätter Nr. 3, 1978, Heft 1, S. 9
(8) Stefan Gerlach: Mittelalterliche und frühneuzeitliche Tonfiguren aus Unterfranken.
In: Mainfränkische Studien, Band 63, 1998, Verlag Dr. Faustus.

Kruseler: "auch Krüseler, von mhd. / mnd. Krus gekrümmt; halbkreisförmig geschnittener, fester Kopfschleier mit mehreren Rüschenreihen, das Gesicht umrahmend, auf den Schultern aufliegend; um 1400 auch mit der Rise kombiniert getragen, 14. Jh. bis 1. Drittel 15. Jh. vielfach Gegenstand von Kleiderordnungen"       => Modelexikon [les-danseurs.de]

Rise: "(auch Riese, von mhd. Risen fallen), schleierartiges Tuch aus feinem Leinen, das Kinn und Hals der meist verheirateten Frau bedeckte, in Höhe der Schläfen im Haar festgesteckt und zusammen mit einem Schleier um den Kopf getragen, 14. bis ins 15. Jh., aus der Spätzeit sind eine Art länger geschnittene Rise mit gerüschtem Rand bekannt."

 

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=> Modelexikon: [kunstwissen.de]


  3                      4
Kopf eines Kruseler Püppchens  
Aufgelegter Tonwulst mit 
von Gelbsreuth: noch 5,5 cm hoch.   eingestempelten Punktreihen
Inv.-Nr. LMO: 2311                        auf der Rückseite

 

   5               6

Kruseler Püppchen                        Kruseler Püppchen
Fragment von Hollfeld.                     aus Nürnberg (14./15. Jhdt.)
Man beachte die Finger-                  [(4) Heft 1, 2004, S. 31]
abdrücke am unteren Rand!              => alle Figuren [3, Umschlagbild]

 

          7a                 7b

Kruseler Püppchen in der Vitrine   Püppchen von Hollfeld 
Detail: Unterteil von Hollfeld,            Standfuß von unten gesehen            
Kopf von Regensburg   


          8         => zur Vitrine Mittelalter/Neuzeit
Der Kruseler, eine Haube
mit (hier einlagig) gekraustem Rand [aus: tempus-vivit.net]

                                          

     9                     10

Kruseler Püppchen (Typ 3)              aus Burg Endsee, Gde. Steinsfeld,
von der Nordeck bei Stadtsteinach:     Lkr.Ansbach
Höhe noch 8,7 cm [s. a. (7)];               [Fundchronik Mittelfranken
Heimatmuseum Stadtsteinach               (2) S.383f., Abb. 215/1]


    11

Pferdchen mit Reiter und Kruseler Püppchen: 14./15. Jhdt.
[(5) AiD, Heft 1, 204, S. 30 - Germanisches Nationalmuseum Nürnberg]
                                                        
  Verlag GmbH  

Kruselerpüppchen als Spielzeug für Kinder
Ähnlich wie die Barbiepuppe in unserer Zeit repräsentierten Kruselerpüppchen die Welt der erwachsenen Frau. Mit ihr ließ sich vortrefflich 'feine Dame' spielen.
"Analog zu den handgeformten Rittern und Pferdchen, die im Hochmittelalter einen Teil der adeligen Welt widerspiegeln, dürfte es sich bei den Kruselerfiguren wohl ebenfalls um Kinderspielzeug gehandelt haben" [(4), S. 219].

 

  12: Kopf einer Figur vom Typ 4,
                                              1974 in Weismain gefunden

Gabenträger oder Heilige

Die Kruselerpüppchen des Typs 4 (wie etwa das Fragment von Weismain in Abb. 12) mit ihrer reduzierten Detailtreue und zusätzlichen Attributen in Form
von Kronen sind eher in den religiösen Bereich zu stellen. So können sowohl Maria als auch Heilige, etwa die Heilige Elisabeth, gemeint sein.

"Viele Figuren stellen eindeutig eine Madonna oder Heilige dar (natürlich in zeitgenössischer Tracht); und sie wurden nachweislich auch in Massen in Wallfahrtsorten, wie etwa Einsiedeln, als Devotionalien produziert, exportiert oder von Pilgern mitgebracht Eine Funktion solcher Figuren in Hausaltären und bei religiösen Feiern (Historische Nachrichten aus dem 15. Jh. über das 'Kindleinwiegen' an Weihnachten durch Erwachsene sind bekannt) kann man sich gut vorstellen. Auch Kinderspiele nach religiösen Motiven sind z. B. für das 16. Jh. überliefert." [Freundliche Mitteilung von Dr. Stefan Gerlach, BLfD Würzburg]

 

Verschiedene Bruchstücke mittelalterlicher Tonfiguren (Abb. 13)
8: Tüschnitz,  9: Hollfeld, 10: Reichmannsdorf, 12: Dreuschendorf  
[(6) AuF (= Lit. 3) 9, 1993-1994, Abb. 34], Länge von Nr. 12: 7,8 cm.
 

=> Ein Kruseler Püppchen aus dem Spessart

=> Historische Kopfbedeckungen       [diebehueterin.de]

=> Kopfbedeckungen im hohen Mittelalter
                                                                   [tempora-nostra.de]
=>
Die Mode im Spätmittelalter          [Alltagsgeschichte
                                                                    des Hochmittelalters]
=> Kleines Modelexikon:
=> Kostüme  [les-danseurs.de]


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