Die Ebstorfer Weltkarte (3) - eine 'mappa mundi'

Forchheim und die 'Francia orientalis'          =>  Kleine Bildergalerie -1-

=> Neues Thema im Landschaftsmuseum

Schaustück für repräsentative Anlässe
Die Ebstorfer Weltkarte ist die bekannteste und mit Abstand größte Weltkarte aus dem Mittelalter. Das Original ist im Zweiten Weltkrieg verbrannt. Auf einer Pergamentfläche von 3,5 x 3,5 m präsentierte die Karte das kreisrunde Abbild der bewohnbaren Welt, des „Orbis terrarum" mit den drei Erdteilen Asien, Europa und Afrika. Die Karte wurde wahrscheinlich um 1300 im Kloster Ebstorf (in der Lüneburger Heide) hergestellt und könnte als Schaustück bei repräsentativen Anlässen verwendet worden sein, ähnlich wie die großformatigen Bildteppiche, die in den niedersächsischen Heideklöstern jener Zeit angefertigt wurden. Der Konvention der mittelalterlichen Radkarten gemäß liegt Osten oben, Asien umfasst die obere Kreishälfte, Europa und Afrika teilen sich die untere Hälfte, dazwischen erstreckt sich in der Senkrechten das Mittelmeer, von zahlreichen Inseln durchsetzt.

Ausdruck mittelalterlicher Weltsicht
Um die Erdoberfläche, die man sich wohl auch damals schon kugelförmig vorgestellt hat, schlingt sich der Ozean. Das Kartenbild ist von etwa 1600 Zeichnungen
und erklärenden lateinischen Beischriften bedeckt. Es ist dies ein Geschichtsbild, in dem sich der Ablauf der Weltgeschichte ebenso zur belehrenden Betrachtung darbietet wie die Ausdehnung der Welt mit ihren vielen Mirabilien (wundersamen Dingen) in den Randzonen des Erdkreises. Das Haupt und die Gliedmaßen Christi an den vier Enden der Welt wie auch das goldgelb leuchtende Quadrat des irdischen und zugleich himmlischen Jerusalem im Zentrum bedeuten dem Betrachter, dass das Weltwissen der christlichen Contemplatio unterzuordnen sei. Das Paradies mit Adam und Eva am Ostrand Indiens ist ebenso entschieden und selbstverständlich dargestellt wie die Arche Noah in Armenien, der Turm von Babel in Mesopotamien, Troja in Kleinasien, Karthago in Libyen und Rom in Italien: Merkpunkte der Alten Geschichte.
Hinter dem kaukasischen Gebirgsbogen werden verschiedene Arten von Menschenfressern lokalisiert, die afrikanische Randzone südlich des Nils wird von einer „Monstergalerie" besetzt. Das Ideenbild der Ebstorfkarte will und kann keine maßstabsgetreue, auf Messungen beruhende Landkarte sein, es ist vielmehr von Symbolstruktur und Bedeutungsperspektive bestimmt. Umso bemerkenswerter ist die Detailfreude, mit der die Kartenbildner ihre geografische Gegenwart ins Bild gesetzt haben.

Älteste Deutschlandkarte
Die gesamte europäische (und das heißt christliche) Kartenpartie ist mit identifizierbaren Orten besetzt und nähert sich hier dem Charakter einer Landkarte im neuzeitlichen Sinn. Mit einem gewissen Recht kann man die Ebstorfkarte als die älteste Deutschlandkarte bezeichnen. Die Vielzahl der Städte, der Flüsse und sonstigen topografischen Notationen ist ohne Vorbild. Das gilt besonders für den norddeutschen Heimatraum der Karte um Lüneburg-Braunschweig und die angrenzenden Gebiete. Doch das Kartenbild erfasst längst nicht alle deutschen Länder mit gleicher Detailtreue, es weist große Sprünge und Lücken auf, ganz abgesehen von den zerstörten Stellen.

Deshalb ist es durchaus nicht selbstverständlich, dass die Francia orientalis mit ihren wichtigsten Ortschaften in diesem Weltbild einen Platz erhalten hat. „Francia orientalis" ist als Regionalname in die Fläche zwischen Nürnberg, Bamberg und Forchheim eingetragen. Der Name bezeichnet hier nicht mehr das ganze ostfränkische Reich der Karolinger, sondern steht eingeschränkt für Ostfranken als eine Provinz der Teutonia. In den Geografie-Traktaten des 12.. und 13. Jahrhunderts (Honorius Augustodunensis, Gervasius von Tilbury) grenzt die Francia orientalis an die Provinzen Turingia und Bavaria.

Einigermaßen deutlich zeigt das Kartenbild, dass die zu Ostfranken gehörenden Orte eine Gruppe bilden: Pavenborch (Bamberg), Vochelem (Forchheim), Blassenborch (Plassenburg), Nurenberch (Nürnberg). Optische Orientierungslinien bieten die Flussläufe: auf der einen Seite der Lauf des Mains (Moin fl.), der den Gebirgszug des Thüringer Waldes und des Fichtelgebirges kühn ignoriert und an Erfurt (Erfordia c.) vorbeifließt; auf der anderen Seite die Naab (Nabia fl.), die eigentlich bei Regensburg (Ratispona c.) mündet, hier aber bei Passau (Pattavia c.) in die Donau geführt wird. Forchheim ist zu weit nach Süden geraten, aber seine Nähe zu Bamberg sichert ihm die Zugehörigkeit zur Francia orientalis. Bemerkenswert ist die Stadtvignette, die Bamberg bezeichnet: ein über den Fluss gestellter Brückenbau, ganz ungewöhnlich in der Vielzahl der sonstigen schematischen Stadtbildchen. Ob darin ein Hinweis auf den Brückenbau der Bamberger Rednitz-Insel steckt, muss ungewiss bleiben. Die Plassenburg (Blassenborch) gehörte seit 1248 je zur Hälfte dem Bischof von Bamberg und dem Grafen von Orlamünde. Die Bischofsstadt Würzburg (Werceborch) befindet sich etwas abgerückt flussabwärts des 'Moin fl.', der dann noch eine relativ lange Strecke zu bewältigen hat, bis er bei Mainz (Mogoncia c.) in den Rhein mündet.

Franken und die Trojaner
Der Ursprung der Franken lag der Legende nach in Troja. Ein Trojanerfürst namens Francus hatte sie nach dem Untergang der Stadt westwärts geführt. So wussten es die gelehrten Historiografen seit dem frühen Mittelalter. Wie weit die fränkische Herkunftssage auch den Ebstorfer Kartenbildnern geläufig war, ist nicht auszumachen. Jedenfalls zeigt die Karte Troja so auffällig und den europäischen Regionen so nahe, dass sich auf ihr eine trojanische Wanderung zur westlichen Francia im Allgemeinen und auch zur Francia orientalis zwanglos demonstrieren ließ. Der Weg von Troja bis Rom, das sich bekanntlich auf den Trojaner Aeneas zurückführte, war in diesem Kartenbild entschieden länger.

Ob es bestimmte dynastische oder kirchliche Interessen waren, die die Eintragung der Francia orientalis und ihrer Hauptorte in der vorliegenden Form besonders förderten, ist schwer zu sagen. Bamberg hatte als Bischofssitz überregionale Geltung. Dass die Plassenburg zwischen Bamberg und Orlamünde platziert ist, kann auf den geteilten Besitz der Burg anspielen. Forchheim dürfte als alter Krönungsort und Königspfalz sowie als Festungsstadt des Bamberger Bistums eine gewisse Reputation gehabt haben. Dass die Stadt ins Kartenbild gesetzt worden ist, weil sie als Geburtsort des Pontius Pilatus galt, ist kaum anzunehmen - auch wenn sich alle Lebensstationen des Pilatus auf der Karte nachvollziehen lassen.
[Nach Hartmut Kugler im Katalog zur Landesausstellung 2004 in Forchheim, S. 169 ff]
=> zur Rezension der Neuerscheinung von Hartmut Kugler (Hrsg.): Die Ebstorfer Weltkarte,
     Band I: Atlas und II: Kommentar, 2007 (Literatur 7)

   Abb. 4               Abb. 5
=> noch größer [824 kB]                                                 => noch größer: [454 kB]

Abb. 4: Die Ebstorfer Weltkarte im Überblick             Abb. 5: Rekonstruierte Weltkarte [(6), S. 46)]
[Kulmbach-Führer, (3), S. 41]
                                    => Hintergrundinformationen zur Karte
                                                                                       Ein Projekt der Euphana Universität Lüneburg
Verwendete Literatur
(1) Edel und Frei – Franken im Mittelalter, S. 132 / 169 ff. –  Landesausstellung in Forchheim 2004 
(2) Birgit Hahn-Wörnle, Die Ebstorfer Weltkarte. Kloster Ebstorf o. J.
(3) Kulmbach, Führer, Kunstverlag Josef Fink, 2000
(4) L. Popp, Die Ebstorfer Weltkarte im Landschaftsmuseum Obermain in der Plassenburg zu Kulmbach
    (Faltblatt mit kurzen Erläuterungen und Übersichtsplan)
(5) J. Wilke, Die Ebstorfer Weltkarte. Verlag für Regionalgeschichte Bielefeld 2001
(6) Unser Landkreis Kulmbach, Lkr. Kulmbach und Sparkasse, 1985
(7) Hartmut Kugler (Hrsg.), Die Ebstorfer Weltkarte, Band I: Atlas und II: Untersuchungen und Kommentar; Akademie Verlag 2007 [178,00 €] 

=> Zu einem kleinen Web-Album bei PICASA
      mit mehr und ausführlicheren Informationen

 

 

     [zurück zur Ebstorfer Weltkarte (1)]  
 


   Abb. 1

Der Osten vom Indus bis zum Weltmeer (Ausschnitt)
Im oberen Bereich, links vom Haupt Christi: Das Paradies und
die vier Weltströme           => noch größer [~ 640 kB]
[aus (2) B. Hahn-Wöhrle, Ebstorfer Weltkarte, S. 49, Abb. 31]



=> Die Ebstorfer Weltkarte des Gervasius von Tilbury

=> Digitale Ebstorfer Weltkarte der Universität Lüneburg
      Wenn Sie Darstellungen / Texte auf der Karte anklicken,
      erhalten Sie meist eine deutsche Übersetzung.


 

    Abb. 2
                                                                   
Ausschnitt der Ebstorfer Weltkarte  [Foto: D. Sch.]
Kopie auf der Plassenburg mit den Quellflüssen von Naab, Main und 
Mulde mit einem Teil Thüringens. Rechts von der Plassenburg (im Kreis: 'Blassenborch') ist etwa in der Mitte oben Nürnberg ('Nurenberch') 
und darunter Bamberg ('Pavenborch') zu sehen, links davon Orlamünde ('Orlamünde'), Naumburg und Halle ('Halla'), darüber Meißen ('Mesna') 
und am oberen Rande links Prag ('Praga c.').
 

Im linken unteren Viertel  der Radkarte (hier auf der Kulmbacher Nachbildung) ist in der „Francia orientalis“ (Ostfranken) zwischen Nürnberg und Orlamünde die Plassenburg abgebildet, darunter Bamberg und schräg darüber Forchheim ('Vorchelem')

In der linken Ecke des Ausschnittes sieht man Lüneburg ('Lunebch') und Braunschweig (mit einem Löwen) auffallend groß dargestellt. Rechts unter dem Löwen ist die Stadt Hannover zu sehen
, links davon die Kapelle beim Kloster Ebstorf ('Ebbekesstorp' in der unteren Ecke) mit einem Kreuz. Die drei 'Märtyrergräber' darunter sind als kleine Rechtecke eingezeichnet. Sie stammen einer Sage nach von einer verlorenen Schlacht gegen die Normannen, bei der im Jahre 880 Tausende von Christen den Tod fanden. Rechts davon ist Verden ('Verda') und links davon Bremen ('Brema') zu sehen.


 

       

           Abb. 3

       Kleinerer Ausschnitt aus der Ebstorfer Weltkarte
       mit der Plassenburg (obere Mitte) -
       Fehlstellen nicht ergänzt [aus (1), S. 170]
       
=> siehe hierzu auch eine größere Übersicht [aus (7): Segment 44]
 

=>  Zu den Monstern GOG und MAGOG
      
  

=>  Zu einer kleinen Bildergalerie -1-


=>
  Die Ebstorfer Weltkarte voll digitalisiert
       Ein Projekt der Euphana Universität Lüneburg
       mit einer Fülle weiterführender Informationen.

=>
  Die Ebstorfer Weltkarte des Gervasius (von Tilbury)
      Probst in Ebstorf,  >>> weitere mittelalterliche Weltkarten

=>  Alexander der Große als Sagengestalt - der Alexanderroman

=>  Untere Kartenmitte mit Beschriftungen [www.speyerbach.info]


=>
  Neuerscheinung von Hartmut Kugler -siehe Literatur (7)


=>
  Neues Thema im Landschaftsmuseum


      [
zurück zur Ebstorfer Weltkarte (1)]


      [
zurück zur Übersicht im Landschaftsmuseum]


      [
zurück zu den Museen]


    nach oben           [home]                                                                                                                                     Dieter Schmudlach (D. Sch.): 25.05.2003/21.09.2017