Schaustück für repräsentative Anlässe
Die Ebstorfer
Weltkarte ist die bekannteste und mit Abstand größte Weltkarte
aus dem Mittelalter. Das Original ist im Zweiten Weltkrieg
verbrannt. Auf einer Pergamentfläche von 3,5 x 3,5 m
präsentierte die Karte das kreisrunde Abbild der bewohnbaren
Welt, des „Orbis terrarum" mit den drei Erdteilen Asien, Europa
und Afrika. Die Karte wurde wahrscheinlich um 1300 im Kloster
Ebstorf (in der Lüneburger Heide) hergestellt und könnte als
Schaustück bei repräsentativen Anlässen verwendet worden sein,
ähnlich wie die großformatigen Bildteppiche, die in den
niedersächsischen Heideklöstern jener Zeit angefertigt wurden.
Der Konvention der mittelalterlichen Radkarten gemäß liegt Osten
oben, Asien umfasst die obere Kreishälfte, Europa und Afrika
teilen sich die untere Hälfte, dazwischen erstreckt sich in der
Senkrechten das Mittelmeer, von zahlreichen Inseln durchsetzt.
Ausdruck mittelalterlicher Weltsicht
Um die Erdoberfläche, die man sich wohl auch damals schon
kugelförmig vorgestellt hat, schlingt sich der Ozean. Das
Kartenbild ist von etwa 1600 Zeichnungen und erklärenden lateinischen Beischriften
bedeckt. Es ist dies ein Geschichtsbild, in dem sich der Ablauf der
Weltgeschichte ebenso zur belehrenden Betrachtung darbietet wie die
Ausdehnung der Welt mit ihren vielen Mirabilien (wundersamen Dingen)
in den Randzonen des
Erdkreises. Das Haupt und die Gliedmaßen Christi an den vier Enden
der Welt wie auch das goldgelb leuchtende Quadrat des irdischen und
zugleich himmlischen Jerusalem im Zentrum bedeuten dem Betrachter,
dass das Weltwissen der christlichen Contemplatio unterzuordnen sei.
Das Paradies mit Adam und Eva am Ostrand Indiens ist ebenso
entschieden und selbstverständlich dargestellt wie die Arche Noah
in Armenien, der Turm von Babel in Mesopotamien, Troja in
Kleinasien, Karthago in Libyen und Rom in Italien: Merkpunkte der
Alten Geschichte.
Hinter dem kaukasischen Gebirgsbogen werden verschiedene Arten
von Menschenfressern lokalisiert, die afrikanische Randzone
südlich des Nils wird von einer „Monstergalerie" besetzt. Das
Ideenbild der Ebstorfkarte will und kann keine maßstabsgetreue,
auf Messungen beruhende Landkarte sein, es ist vielmehr von
Symbolstruktur und Bedeutungsperspektive bestimmt. Umso
bemerkenswerter ist die Detailfreude, mit der die Kartenbildner
ihre geografische Gegenwart ins Bild gesetzt haben.
Älteste Deutschlandkarte
Die gesamte europäische
(und das heißt christliche) Kartenpartie ist mit
identifizierbaren Orten besetzt und nähert sich hier dem
Charakter einer Landkarte im neuzeitlichen Sinn. Mit einem
gewissen Recht kann man die Ebstorfkarte als die älteste
Deutschlandkarte bezeichnen. Die Vielzahl der Städte, der Flüsse
und sonstigen topografischen Notationen ist ohne Vorbild. Das
gilt besonders für den norddeutschen Heimatraum der Karte um
Lüneburg-Braunschweig und die angrenzenden Gebiete. Doch das
Kartenbild erfasst längst nicht alle deutschen Länder mit
gleicher Detailtreue, es weist große Sprünge und Lücken auf,
ganz abgesehen von den zerstörten Stellen.
Deshalb ist es
durchaus nicht selbstverständlich, dass die Francia
orientalis mit ihren
wichtigsten Ortschaften in diesem Weltbild einen Platz erhalten
hat. „Francia
orientalis" ist als Regionalname in die Fläche zwischen
Nürnberg, Bamberg und Forchheim eingetragen.
Der Name bezeichnet hier nicht mehr das ganze
ostfränkische Reich der Karolinger, sondern steht eingeschränkt
für Ostfranken als eine Provinz der Teutonia. In den
Geografie-Traktaten des 12.. und 13. Jahrhunderts (Honorius
Augustodunensis, Gervasius von Tilbury) grenzt die Francia
orientalis an die Provinzen Turingia und Bavaria.
Einigermaßen deutlich zeigt das Kartenbild, dass die zu
Ostfranken gehörenden Orte eine Gruppe bilden: Pavenborch
(Bamberg), Vochelem (Forchheim), Blassenborch (Plassenburg),
Nurenberch (Nürnberg). Optische Orientierungslinien
bieten die Flussläufe: auf der einen Seite der Lauf des Mains (Moin
fl.), der den Gebirgszug des Thüringer Waldes und des
Fichtelgebirges kühn ignoriert und an Erfurt (Erfordia c.)
vorbeifließt; auf der anderen Seite die Naab (Nabia fl.),
die eigentlich bei Regensburg (Ratispona c.) mündet, hier
aber bei Passau (Pattavia c.) in die Donau geführt wird.
Forchheim ist zu weit nach Süden geraten, aber seine Nähe zu
Bamberg sichert ihm die Zugehörigkeit zur Francia orientalis.
Bemerkenswert ist die Stadtvignette, die Bamberg bezeichnet: ein
über den Fluss gestellter Brückenbau, ganz ungewöhnlich in der
Vielzahl der sonstigen schematischen Stadtbildchen. Ob darin ein
Hinweis auf den Brückenbau der Bamberger Rednitz-Insel steckt,
muss ungewiss bleiben. Die Plassenburg (Blassenborch)
gehörte seit 1248 je zur Hälfte dem Bischof von Bamberg
und dem Grafen von Orlamünde. Die Bischofsstadt Würzburg (Werceborch)
befindet sich etwas abgerückt flussabwärts des 'Moin fl.', der
dann noch eine relativ lange Strecke zu bewältigen hat, bis er
bei Mainz (Mogoncia c.) in den Rhein mündet.
Franken
und die Trojaner
Der Ursprung der
Franken lag der Legende nach in Troja. Ein Trojanerfürst namens
Francus hatte sie nach dem Untergang der Stadt westwärts
geführt. So wussten es die gelehrten Historiografen seit dem
frühen Mittelalter. Wie weit die fränkische Herkunftssage auch
den Ebstorfer Kartenbildnern geläufig war, ist nicht
auszumachen. Jedenfalls zeigt die Karte Troja so auffällig und
den europäischen Regionen so nahe, dass sich auf ihr eine
trojanische Wanderung zur westlichen Francia im Allgemeinen und
auch zur Francia orientalis zwanglos demonstrieren ließ. Der Weg
von Troja bis Rom, das sich bekanntlich auf den Trojaner Aeneas
zurückführte, war in diesem Kartenbild entschieden länger.
Ob es bestimmte dynastische oder
kirchliche Interessen waren, die die Eintragung der Francia
orientalis und ihrer Hauptorte in der vorliegenden Form
besonders förderten, ist schwer zu sagen. Bamberg hatte als
Bischofssitz überregionale Geltung. Dass die Plassenburg
zwischen Bamberg und Orlamünde platziert ist, kann auf den
geteilten Besitz der Burg anspielen. Forchheim dürfte als alter
Krönungsort und Königspfalz sowie als Festungsstadt des
Bamberger Bistums eine gewisse Reputation gehabt haben. Dass die
Stadt ins Kartenbild gesetzt worden ist, weil sie als Geburtsort
des Pontius Pilatus galt, ist kaum anzunehmen - auch wenn sich
alle Lebensstationen des Pilatus auf der Karte nachvollziehen
lassen.
[Nach Hartmut Kugler im Katalog zur Landesausstellung
2004 in Forchheim, S. 169 ff]
=>
zur Rezension der Neuerscheinung von Hartmut Kugler (Hrsg.):
Die Ebstorfer Weltkarte,
Band I: Atlas und II: Kommentar, 2007 (Literatur 7)
Abb.
4
Abb.
5
=>
noch größer [824 kB] =>
noch
größer: [454
kB]
Abb.
4:
Die Ebstorfer Weltkarte im Überblick
Abb. 5: Rekonstruierte Weltkarte [(6), S. 46)]
[Kulmbach-Führer, (3), S. 41] =>
Hintergrundinformationen zur Karte
Ein Projekt der
Euphana Universität Lüneburg
Verwendete Literatur
(1) Edel und Frei –
Franken im Mittelalter, S. 132 / 169 ff. – Landesausstellung in Forchheim
2004
(2) Birgit Hahn-Wörnle, Die Ebstorfer Weltkarte.
Kloster Ebstorf o. J.
(3) Kulmbach,
Führer, Kunstverlag Josef Fink, 2000
(4) L. Popp, Die Ebstorfer Weltkarte im Landschaftsmuseum Obermain in
der Plassenburg zu Kulmbach
(Faltblatt mit kurzen Erläuterungen und
Übersichtsplan)
(5) J. Wilke, Die Ebstorfer Weltkarte. Verlag für Regionalgeschichte Bielefeld
2001
(6) Unser Landkreis Kulmbach, Lkr. Kulmbach und Sparkasse, 1985
(7) Hartmut Kugler (Hrsg.),
Die Ebstorfer Weltkarte, Band I: Atlas
und II: Untersuchungen und Kommentar; Akademie Verlag 2007 [178,00 €]
=>
Zu einem kleinen
Web-Album bei PICASA
mit
mehr und ausführlicheren Informationen
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zur Ebstorfer Weltkarte (1)]
Abb. 1 Der
Osten vom Indus bis zum Weltmeer (Ausschnitt)
Im
oberen Bereich, links
vom Haupt Christi: Das Paradies
und
die vier Weltströme
=> noch
größer [~ 640 kB]
[aus (2) B. Hahn-Wöhrle, Ebstorfer Weltkarte, S. 49, Abb. 31]
=> Die
Ebstorfer Weltkarte des Gervasius von Tilbury
=>
Digitale Ebstorfer Weltkarte der Universität Lüneburg
Wenn Sie Darstellungen / Texte auf der Karte anklicken,
erhalten Sie meist eine deutsche Übersetzung.
Abb. 2
Ausschnitt der Ebstorfer Weltkarte [Foto: D. Sch.]
Kopie auf der Plassenburg mit den Quellflüssen von Naab, Main und
Mulde mit einem
Teil Thüringens. Rechts von der Plassenburg
(im Kreis: 'Blassenborch') ist etwa
in der Mitte oben Nürnberg ('Nurenberch')
und darunter Bamberg ('Pavenborch') zu sehen, links
davon Orlamünde ('Orlamünde'), Naumburg und
Halle ('Halla'), darüber Meißen ('Mesna')
und am
oberen Rande links Prag ('Praga c.'). Im linken
unteren Viertel der Radkarte (hier auf der Kulmbacher Nachbildung) ist in der
„Francia
orientalis“
(Ostfranken) zwischen Nürnberg
und Orlamünde die Plassenburg abgebildet, darunter
Bamberg und
schräg darüber Forchheim ('Vorchelem').
In der linken Ecke des Ausschnittes sieht man Lüneburg ('Lunebch') und Braunschweig
(mit einem Löwen) auffallend groß dargestellt. Rechts unter dem Löwen
ist die Stadt Hannover zu sehen,
links davon die
Kapelle beim Kloster Ebstorf ('Ebbekesstorp' in der unteren Ecke)
mit einem Kreuz. Die drei 'Märtyrergräber' darunter
sind als kleine Rechtecke eingezeichnet. Sie stammen einer Sage
nach von einer
verlorenen Schlacht gegen die Normannen, bei der im Jahre 880
Tausende von Christen den Tod fanden. Rechts
davon ist Verden ('Verda') und links davon Bremen ('Brema')
zu sehen.
Abb. 3
Kleinerer Ausschnitt
aus der Ebstorfer Weltkarte
mit der Plassenburg (obere Mitte) -
Fehlstellen nicht ergänzt [aus
(1), S. 170]
=>
siehe hierzu
auch eine größere Übersicht
[aus (7): Segment 44]
=>
Zu
den Monstern GOG und MAGOG
=>
Zu einer kleinen Bildergalerie -1-
=>
Die Ebstorfer Weltkarte
voll digitalisiert
Ein Projekt der
Euphana Universität Lüneburg
mit einer Fülle weiterführender Informationen.
=>
Die
Ebstorfer Weltkarte des Gervasius (von Tilbury)
Probst
in Ebstorf, >>> weitere mittelalterliche Weltkarten
=>
Alexander der Große als
Sagengestalt - der Alexanderroman
=>
Untere Kartenmitte mit
Beschriftungen
[www.speyerbach.info]
=>
Neuerscheinung von Hartmut Kugler -siehe Literatur (7)
=>
Neues Thema im
Landschaftsmuseum
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